Eine Zeitzeugin aus dem Westen erzählt

Ich bin drei Monate nach dem Mauerbau in Bayern geboren und habe lange nicht geglaubt, dass ich einmal älter als die Mauer werden würde. Meine Generation schien sich mit den westlichen Nachbarländern deutlich enger verbunden zu fühlen als mit unseren Brüdern und Schwestern in der DDR. Als ich 1988 meinen Magister in Politischen Wissenschaften ablegte, fragte mich ein Professor in der mündlichen Prüfung, was ich Helmut Kohl raten würde, wenn die DDR den Wunsch nach einer Wiedervereinigung an ihn herantragen würde. Ich kann mich noch gut erinnern, wie genervt ich war, mich mit so absurden, unrealistischen Fragen beschäftigen zu müssen. Am Abend des Mauerfalls, während der gesamtdeutsche Wahnsinn via Bildschirm auch in meine Münchner Wohnung schwappte, habe ich meinem hellsichtigen Professor Abbitte geleistet. Er war seiner Zeit wirklich voraus.

Veronika Schantz, 1961 in Bayern geboren

 

Das erzählt die Autorin des Buches als Zeitzeugin

1982, als ich elf Jahre alt war, wurde mir klar, dass meine Eltern und ich wie Kaninchen in einem großen Stall mit Freilaufgehege lebten und Westdeutschland für mich nur deshalb so unerreichbar wie der Mond war, weil ich zufällig in der DDR geboren worden war. Bei einem kurzen Auto-Stopp an einer Schranke mitten im Grünen deuteten meine Eltern Richtung Westen und erklärten uns Kindern: »Hier beginnt das Grenzgebiet und da drüben ist der Westen.« Für mich war das schockierend, denn die Freiheit des Westens war theoretisch zu Fuß erreichbar und von dort aus könnte ich sogar auch ins Land der Apachen oder nach Lönneberga! Dieses tiefe Gefühl von Ohnmacht und Empörung kann ich heute noch fühlen, und als wir zwei Jahre später mit genehmigtem Ausreiseantrag die DDR für immer verlassen durften, war das für mich wie ein Wunder. Trotz Heimweh und Schwierigkeiten im neuen Land hätte ich den kostbaren Schatz, den ich jetzt besaß, um nichts in der Welt wieder hergeben wollen: meine persönliche Freiheit.

Juliane Breinl, geboren 1971 in Döbeln, 1984 aus der DDR ausgereist, lebt heute in München.

Heini war acht Jahre alt, als der Krieg endete

Als der Krieg vorbei war, kamen die russischen Besatzer in unser Dorf. Ich lebte, wie heute auch noch, im thüringischen Kella an der Grenze zu Hessen. Erst waren die Russen im Nachbarhaus eingezogen, doch 1949 mussten wir innerhalb von 24 Stunden aus unserem schönen Haus raus und in die Wohnung der alten Schule ziehen. Das war für uns eine große Umstellung, denn unser Haus war noch ziemlich neu – Baujahr 1938. Die Russen blieben vier Jahre darin, und als wir es wiederbekamen, war es nur noch als Rohbau zu bezeichnen. In jedes Zimmer war ein Ofen reingemauert worden, die Zimmer blau gestrichen, teilweise die lackierten Böden zerstört. 1952 wurde dann der Grenzzaun gezogen – genau auf dem Kamm des Berges wurden Bäume gerodet, sodass ein zehn Meter breiter Streifen entstand, der sogenannte Zehn-Meter-Streifen, der mit Stacheldraht abgedichtet wurde. Dass diese Grenze über die Jahre noch immer mehr ausgebaut werden würde und wir in Kella quasi eingesperrt werden würden, ahnten wir damals noch nicht.

Heini und Gisela Schade aus dem Grenzdorf Kella, Thüringen


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Welche Geschichte verbindet Sie mit dem Mauerfall? Wo und wie haben Sie den Mauerfall erlebt? 

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Das Buch

Rainer Eckert, damals 11 Jahre alt, sah seinen Opa nie wieder

In den ersten Wochen des Augusts 1961 verbrachte ich als Elfjähriger einen schönen sonnigen Urlaub am Werbellinsee nördlich von Berlin. Am 12. August fuhren wir über Westberlin nach Potsdam zurück und überlegten, ob wir bei meinen Großeltern in Westberlin übernachten sollten. Wir entschieden uns – schicksalhaft – anders und beschlossen, erst am nächsten Tag zu ihnen zu fahren. Am kommenden Morgen hörten wir im Radio, dass die SED-Diktatur in der Nacht Westberlin abgeriegelt hatte. Wir fuhren zum Potsdamer S-Bahnhof – die Volkspolizei sperrte ihn vor einer wütenden Menschenmenge ab. Es blieb nur der Weg mit dem Personenzug »Sputnik« nach Ostberlin. Am Bahnhof Friedrichstraße standen Panzer und sie waren von verzweifelten und hasserfüllten Menschen umringt. Im Bahnhof verabschiedeten sich weinende Kinder, die nach Westberlin zurückkehrten, von ihren Verwandten. Mit meiner fast blinden und nur noch mit Schmerzen laufenden Großmutter trafen wir uns am Grenzübergang Chausseestraße in einer Telefonzelle. Sie brachte uns Lebensmittel und vieles andere mit, und wir wussten nicht, ob wir sie jemals wiedersehen würden. Mein Großvater war bettlägerig und ich habe ihn vor seinem Tod nicht mehr besuchen dürfen. Es blieb eine zerstörte Familie und der Hass auf die Diktatur, der erst mit der Friedlichen Revolution sein Ende fand.

Rainer Eckert, 1950 geboren in Potsdam, lebt heute in Berlin.

Christian schaffte die Flucht am 10. November 1961 und erfüllte sich seinen Zukunftstraum

Für mich gab es in der DDR nie eine Perspektive. Da ich aus einer Pfarrersfamilie stammte und mein älterer Bruder schon das »Privileg« bekommen hatte, auf einem Internat in Berlin auf die Oberschule zu gehen, erhielt ich dazu keine Erlaubnis. Erst landete ich auf dem Bau, später bei einem Kunstschmied in Ostberlin. Weil ich aber nicht zur Wahl ging, wurde ich vorgeladen. Zehn Leute haben auf mich eingeredet. Sie drohten mir, dass sie mich für fünf Jahre in ein Arbeitslager stecken würden, wenn ich mich nicht freiwillig zum Dienst in der Volksarmee verpflichtete. Ich weigerte mich und wusste, dass ich so schnell wie möglich aus der DDR rausmusste, bevor sie einen Grund fanden, um mich ins Arbeitslager zu stecken. Als ich an der Mauer fotografierte, um Fluchtwege zu finden, wurde ich erwischt und zwei Tage lang so brutal verhört, dass ich ohnmächtig vom Stuhl kippte.

Ich gab nicht auf und meine Flucht gelang in der Nacht des 10. November 1961. Am Bahnhof Friedrichstraße überwand ich vier Meter Höhe, um auf das scharf bewachte und abgeriegelte Bahngelände zu gelangen. Ich wartete auf einen guten Augenblick, um unbemerkt auf den fahrenden Fernzug zu springen. Der Sprung gelang, aber als ich die Tür zum Waggon öffnen wollte, entdeckte mich einer der Polizisten. Ich gab ihm einen Schubs, er fiel, stand wieder auf und machte nichts. Dabei hätte er auch auf mich schießen können! Ich habe mich auf der Zugtoilette versteckt, bis der Zug am Bahnhof Zoo hielt. Dort bin ich dann ausgestiegen und direkt zu einer Pfarrersfamilie in Berlin-Zehlendorf gefahren, wo ich erst einmal drei Tage geschlafen habe. Dann wurde ich von den Alliierten als Flüchtling erfasst und musste nach Friedland in das Aufnahmelager der Bundesrepublik. Dort wurde ein Protokoll über meine Flucht verfasst, das ich immer noch habe.

Christian Kimme, geboren 1942, lebt heute in Mainz.

Ein Tagebucheintrag aus dem Juli 1989

Tagebucheintrag, Ende des Bulgarien-Urlaubs, 30.7.1989:

»Pirinbaude. Eine ganz andere Welt! Eidechsen, trockene Wiesen, Königskerzen, Schildkröten, wundervolle Aussicht nach Griechenland. Sandberge und Sandschluchten, so weit man blickt. Überall Grenzschilder für die DDR-Bürger auf Deutsch: Achtung! Grenzzone.«

Im Rosenkloster hörten wir das Gerücht, dass wenige Tage zuvor ein Ostdeutscher in unserem Alter auf der Flucht nach Griechenland erschossen worden sei. Das war ein Schock. Wenige Wochen später wussten wir, dass wir ihn kannten, er war mit uns auf die Schule gegangen. Hätte er doch die Geschichte im Voraus erahnen können! Sein Tod war so sinnlos, wenige Monate vor dem Mauerfall.

Ute Lieschke, Jahrgang 1970, hat diesen O-Ton damals auf ihrer Reise nach Bulgarien nach dem Abi in ihr Tagebuch geschrieben.

Widerstand zu leisten, war möglich

 

Als im August 1968 Truppen des Warschauer Paktes den »Prager Frühling« niederwalzten, gab es unter uns Physikstudenten der Technischen Universität Dresden einige, die ihren Unmut darüber bekundeten. Genau wie kurz davor, als die SED die neue Verfassung für die DDR durch Volksentscheid verabschieden ließ. Einige, so wie auch ich, hatten da mutig das Feld NEIN auf dem Stimmzettel angekreuzt. Überraschenderweise passierte uns nichts deshalb. Genau wie ein Jahr zuvor, als zwei Kommilitonen und ich bei einer Umtauschaktion aller Mitgliedsausweise der FDJ nicht wieder die Statuten der FDJ unterschreiben wollten, die wir einst mit 14 unterschrieben hatten. In einer FDJ-Versammlung dann warf uns der Sekretär mangelnden Klassenstandpunkt vor. Wir drei müssten als angehende Diplomphysiker doch wissen, dass wir im späteren Berufsleben Vorbild sein müssten. Doch weil ein großer, mutiger Teil der Seminargruppe sich in der heftigen Auseinandersetzung mit der FDJ-Leitung hinter uns stellte, verloren Dieter, Rainer und ich nur unsere FDJ-Mitgliedschaft, nicht aber unsere Studienplätze. Ohne die Solidarität des Großteils der Seminargruppe wären wir drei höchstwahrscheinlich vorzeitig exmatrikuliert worden. Erst am Ende des Studiums gab es doch noch eine Konsequenz: Mein Antrag auf ein Forschungsstudium wurde wegen einer negativen Stellungnahme der FDJ abgelehnt.

Dr. Ing. Martin Böttger, Jahrgang 1947, lebt in Zwickau, war Vorsitzender der Fraktion Neues Forum – Bündnis – Grüne und ist Erfinder des Spiels Bürokratopoly (siehe www.buerokratopoly.de).

Das Eichsfeld war ein bisschen wie das gallische Dorf:

Meine Kindheit und meine Jugend erlebte ich in dem Dorf Effelder im Eichsfeld, welches an das 5-km-Sperrgebiet grenzte. Ich bin damit groß geworden, dass überall »Achtung Sperrgebiet«-Schilder standen, und irgendwie war das Leben hinter dem Schlagbaum für uns die Normalität. Aber das bedeutete nicht, dass wir alles mitmachten. Dadurch, dass in unserem Dorf fast alle katholisch sind und die Bindung an die Kirche bei den Menschen schon immer sehr traditionell verankert ist, war sie immer ein Ort, wo wir auch mal gegen den Staat rebellieren konnten. So ging z. B. bei uns fast niemand mit zur Jugendweihe und leistete nicht den Treueschwur auf den Staat. Es waren dann eher die »aussätzig«, die mitmachen mussten, weil die Eltern z. B. Lehrer waren oder eine leitende Funktion in einem Betrieb hatten. Manche wurden auch mit besonderen Berufs- oder Studienchancen gelockt. Aus meiner Klasse wurden aus diesem Grund damals drei Jugendliche nicht mit uns gefirmt, weil sie vorher zur Jugendweihe gegangen waren.

Vera Fischer, geboren 1969 in Thüringen

»Das ist für eine Familie in der Ostzone«

Das ist das Erste, woran ich mich erinnere, wenn ich an die DDR denke. Gesagt hat diesen Satz meine Mutter. Sie hatte ein Päckchen für eine Arbeitskollegin gepackt, deren Verwandtschaft in der DDR lebte. Ich war damals noch im Kindergartenalter. Mit dem Begriff »Ostzone« konnte ich nichts anfangen. Aber ich kann mich noch heute an das negative Gefühl von damals erinnern und an das Bild, das ich bei »Ostzone« vor Augen hatte: das Meer, abgetrennt vom Land durch einen riesigen Stacheldraht. Einige Jahre später wusste ich natürlich, was mit »Ostzone« gemeint war. Und wieder einige Jahre später saß ich mit Studienkollegen zu Hause in München in meiner kleinen Wohnung und sah jubelnde Menschen im Fernsehen, die sich in den Armen lagen, die auf der Mauer tanzten und mit Trabis in den Westen fuhren. Einfach so. Das war unglaublich! Und ich dachte an meine ersten Gefühle als Kindergartenkind und an meinen ehemaligen Geschichtslehrer, der Mitte der 80er-Jahre genau das für die DDR vorhergesagt hatte: dass die Mauer fällt.

Tanja Beetz, geboren 1968 im bayerischen Erding

Befragung im fensterlosen Kellerraum

Im Sommer 1983 beantragte ich bei der zuständigen  Leipziger Stelle aus Anlass des 70. Geburtstages meiner Mutter eine Besuchsreise nach Hildesheim. Während die Anträge für vier meiner Geschwister genehmigt wurden, wurde mein Antrag ohne Begründung abgelehnt. Eine »Eingabe« bei Erich Honecker hatte zur Folge, dass ich in die berüchtigte »Runde Ecke« – die Stasi-Zentrale in Leipzig – musste. Dort wurde mir von Uniformierten der Personalausweis abgenommen und man brachte mich in einen ca. drei Quadratmeter großen, fensterlosen Kellerraum. Ohne Ausweis war man in der DDR quasi nicht vorhanden. Die Wartezeit schien mir endlos. Ich bekam Luftnot und öffnete die Tür, welche aber sofort wieder geschlossen wurde. Schließlich führte man mich in einen anderen Raum, in dem sechs Personen mit Aufnahmegeräten hinter einem Tisch saßen. Man fragte mich nach dem Grund meiner »Eingabe« beim Staatsratsvorsitzenden. Ich wiederholte meine Frage, warum ich meine Mutter zu ihrem 70. Geburtstag nicht besuchen dürfe. »Wir sind nicht verpflichtet, Ihnen darauf zu antworten.« Damit war die Verhandlung beendet und die »Angelegenheit« aus Sicht der Staatsmacht geklärt.

Maria Dreyer, geboren 1942 in Sachsen, ausgereist in die Bundesrepublik 1984

Als mir das ehemalige »Paradies auf Erden« zu eng wurde

Der 13. August 1961 war mein letzter Sommer im Kinderferienlager an der Ostsee. Ich war zwölf Jahre alt, lag versteckt zwischen den Dünen und ließ meinen Blick schweifen zum fernen Horizont. Dorthin wollte ich, hinaus in die Welt, fremde Länder entdecken. Dass ich dazu meine Heimat verlassen müsste, lag mir fern. Im Gegenteil, ich war im Glauben aufgewachsen, dass unsere Republik der beste Staat auf Erden sei, und ich war wütend über Menschen, die unser Land einfach im Stich ließen, wie der einzige Arzt, den wir in unserem Städtchen hatten. Auch zu Beginn jedes Schuljahres fehlten immer einige Mitschüler, und mein Vater tröstete mich: »Um die ist es nicht schade. Wir werden auch ohne sie das ›Paradies auf Erden‹ aufbauen.«

Vom Strand zurück, hörte ich plötzlich die Erzieherinnen flüstern: »Oh, schlimm. Die Grenze ist zu! In Berlin gibt es eine Mauer! Niemand kann mehr weg!« Ohne zu überlegen, rief ich laut: »Ist doch gut! Da kann wenigstens keiner mehr abhauen!« Erschrocken zuckten die Erzieherinnen zusammen und beeilten sich, mir zuzustimmen. Wie hätte ich damals ahnen können, dass ich wenige Jahre später mein Leben riskieren würde, um genau das zu tun, was ich damals verurteilte, nämlich aus der DDR zu flüchten. Doch inzwischen hatte ich erfahren müssen, dass nichts von dem stimmte, was man mir als Kind erzählt hatte. Der falsche Schleier war zerrissen, der mich in meiner Kindheit von der Wirklichkeit getrennt hatte.

Carmen Rohrbach kam 1974 nach einem sehr riskanten Fluchtversuch  über die Ostsee (dazu gibt es ein Buch mit dem Titel »Solange ich atme«) ins gefürchtete DDR-Frauengefängnis Schloss Hoheneck. 1976 kaufte die Bundesrepublik sie frei.

Zeitungsberichte hatten nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun

Sommer 1989: Die Zeitungen berichteten weiter von strahlenden Pionieren, Planübererfüllung und der Überzeugung der Werktätigen. Alles Jubelmeldungen, die keiner mehr ernst nahm. Weil jeder wusste, dass diese Berichte und Fotos nichts mit dem realen Alltag, nichts mit uns selbst zu tun hatten. Wir wurden doch selbst als Schüler in die »Produktion« geschickt und hatten erlebt, wie schon nach einem Tag nichts mehr zu tun war. Die Materiallieferungen blieben aus, und so saß man zusammen und schimpfte, wo das alles noch hinführen sollte. Von Planübererfüllung keine Spur.

Ute Lieschke, damals Schülerin an einer EOS  (Erweiterten Oberschule) in Leipzig, lebt auch heute noch in Leipzig.

Den wahren Zustand zu benennen, kam einer Straftat gleich

Die durchaus akzeptable Umweltgesetzgebung der DDR und die tagtäglich erlebte Realität standen in sehr großer Diskrepanz zueinander. Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, wie wir mit allen Sinnen riechen, sehen, schmecken konnten, wie Flüsse zu Abwasserkanälen degradiert wurden, wie die Wälder starben, wie die Luft verpestet war. Den wahren Zustand zu benennen, kam einer Straftat gleich, und diesbezügliche Informationen oder gar Aktionen wurden als Angriff auf den Staat verfolgt. Für mich ging es essenziell darum, Gesicht zu wahren für die Zukunft meiner Kinder, für meinen Auftrag als Christin in einer atheistischen Gesellschaft und auch vor mir selbst. Ich nahm Nachteile hin, um Gerechtigkeit für die gebeutelte Natur (aber auch für betroffene Menschen) einzuklagen. Ja, ich wollte mich selbst noch im Spiegel anschauen können. Auch bis heute haben wir es nicht geschafft, die Lebensgrundlagen zu bewahren (siehe Klimaveränderungen und weltweite Ungerechtigkeiten mit allen verbundenen Problemen durch Globalisierung und die oft damit verbundenen weltweiten Kriege … das Thema lässt sich ausweiten), aber das ist eine andere »Baustelle«.

Gisela Kallenbach, geboren 1944. Sie durfte kein Abi machen, weil sie aus Überzeugung nicht in die FDJ ging. Nach dem Mauerfall war sie bis 2014 aktiv als Politikerin bei »Bündnis 90/Die Grünen« tätig.

Abenteuerfahrt in den Osten

Im März 1981 reiste ich als 17-Jähriger allein in die DDR nach Luckau in Brandenburg zu meinem Onkel Hubert. Alleine in den Ostblock als Minderjähriger – das war ein Abenteuer! Die strengen Grenzkontrollen mit grimmig dreinblickenden Soldaten, die ihre Hunde unter den Eisenbahnwaggons laufen ließen, die Anmeldung bei der Volkspolizei in Luckau mit Zwangsumtausch – es war beklemmend und faszinierend zugleich. Alles roch nach Unfreiheit, dazu die altmodischen Autos, Geschäfte und Waren. Über der Stadt hing dicker Rauch aus Tausenden Schornsteinen, Abgase aus der Verfeuerung von Braunkohlebriketts in alten Kachelöfen. Und doch gab es hier etwas, was wir im Westen nicht hatten: Biber. Hubert, ein Biologe und Umweltschützer, war ein wandelndes Naturlexikon und fuhr mit mir hinaus in die Landschaft, um mir seltene Tierarten zu zeigen. So erlebte ich erstmals in meinem Leben Flussauen, in denen noch Biber Bäume fällten. In der Bundesrepublik waren die Tiere schon lange ausgerottet, hier hatten sie sich gehalten. Und das nicht von allein: Auch in der DDR gab es Umweltschützer, die sich sehr engagierten. Sie kämpften für wilde Tiere und für die Freiheit der Natur, die im geteilten Deutschland oft vergessen wurde.

Peter Wohlleben, geboren 1964

Langweilige Sondersendung

Im Sommer ’89 war ich elf Jahre alt. Es waren gerade noch große Ferien – damals immer acht Wochen lang. Heute kaum noch vorstellbar, aber die konnten mir gen Ende doch lang werden. Und so lag ich am Nachmittag trotz schönstem Wetter auf dem Wohnzimmersofa und glotzte Ferienprogramm. Was genau lief, weiß ich nicht mehr. Woran ich mich wiederum genau erinnern kann, ist mein Unmut, als plötzlich permanent eine Art Liveticker am unteren Bildrand auftauchte. Irgendetwas mit Ungarn, Botschaft und Ausreise, den genauen Wortlaut kann ich nicht erinnern. Anfangen konnte ich mit dieser Info gar nichts. Ich war einfach stinksauer, denn wenig später wurde das Programm sogar unterbrochen und eine Sondersendung der »Aktuellen Kamera« begann. Wahrscheinlich war es der 24. August 1989, an dem per Liveticker ein historischer Meilenstein verkündet wurde: +++ Die ungarische Regierung erlaubt 108 DDR-Bürgern die direkte Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. +++ Dass damit vom bevorstehenden Ende der DDR die Rede war, wurde mir erst viel später klar.

Jana Kühn, lebt in Berlin.

Grabesstimmung zum Geburtstag:

Es war ein grauer Samstag, der 7.10.1989, und es war der 40. Jahrestag der DDR. Nur war niemandem zum Feiern zumute, wie so oft zu den von der DDR-Regierung verordneten Demonstrationszügen anlässlich des alljährlich wiederkehrenden Staatsgeburtstags. Gegen 14:30 Uhr saß ich mit meiner Mutter, dem Stiefvater und meinem Bruder in der Straßenbahn. Je näher wir unserem Ziel, dem Tunnel (Otto-Grotewohl-Platz), kamen, je mehr Leute stiegen ein. Alle auf dem Weg zur Geburtstagsfeier der DDR!? Ungewöhnlich nur – keiner der Fahrgäste sprach, eine merkwürdige Stille verband die Menschen, als würden sie eine Trauerfeier besuchen und keinen Geburtstag. Ich sollte erst später verstehen, dass die Leute nicht miteinander sprachen, weil sie Angst hatten,  ihr eigentliches Vorhaben an diesem Tag könnte durch unter die Fahrgäste gemischte Mitarbeiter der Staatssicherheit vorzeitig auffliegen. Was folgte, ist Geschichte. Nämlich die erste, durch Mund-zu-Mund-Propaganda initiierte Samstagsdemonstration von immerhin 20000 Plauenern, die gegen die in der DDR herrschenden Verhältnisse demonstrierten.

Pascal Kätzel, Jahrgang 1975, geboren und aufgewachsen in Plauen, lebt heute in München.

Unwirkliche Stille

Was für eine unwirkliche  Stille ... So viele Menschen sind hier. Wir alle  bewegen uns nur langsam, sprechen kaum, suchen fremde Hände … fühlen die Kraft, von der wir eben in der Kirche gehört haben. Unsere Angst wird kleiner. Wir gehen los.

So beschreibt die Leipzigerin Uta Schreiber die Stimmung am 9. Oktober. Ihr Mann war mit den Kindern daheim geblieben – wenn einem von ihnen etwas passierte, sollte wenigstens ein Elternteil für sie da sein können.

Tanz in den Mauerfall

Schon als kleines Kind – seit ich mich erinnern kann! – wollte ich die Welt sehen!!

Und es war für mich ABSOLUT unverständlich, dass die Erwachsenen sagten, das würde leider nicht möglich sein. Aber ich wurde 1979 in Ostberlin, in einem Land und System geboren, unter welchem wir nur in sehr wenige Länder reisen durften.

Mein Vater wurde bei dem Versuch, über die Grenze in eine größere Freiheit zu fliehen, geschnappt und ins Gefängnis gesperrt. Als kleines Kind brach es mein Herz, dass er gescheitert war, seinen großen Traum zu verwirklichen.

Das hat den Funken der Abenteuerlust, den ich wohl von Geburt an in mir trug, in dieses bis heute wild lodernde Feuer entfacht – meinen rebellischen Freiheitssinn – und initiierte mich auf dem Weg, diese »True Lady Liberty« – wie Freunde mich oft nennen – und JEDi¥ESS (mein Alter Ego und Künstlername) zu werden.

Als ich 10 war, war das Lambada-Video – von diesen Menschen, die an einem tropischen Strand tanzten – ein Fenster für mich in diese damals scheinbar für immer unerreichbare Welt, von der ich so sehr träumte.

Also tanzten wir Kinder Lambada – auch an einem Freitagabend im November 1989 bei einem Schulfest –, und als wir später nach Hause kamen, klopften bald die Nachbarn und fragten: »Habt ihr gehört??! DIE GRENZE IST AUF!!!«

Ich habe also tatsächlich in dem Moment, als DIE MAUER FIEL, Lambada getanzt!!! Wie irre und magisch ist das denn bitte?! Denn Jahre später bekam ich – ohne dass die Organisatoren diese Geschichte kannten! – in einer großen TV-Show die Aufgabe, Lambada zu tanzen – tanzte also SELBST im Fernsehen Lambada!! Wahnsinn, wie das Leben so spielt!

Am Ende bin ich dankbar, in diesen Umständen geboren worden zu sein, denn ich kann bis heute dadurch einfach alle Freiheiten und viele kleine Dinge, die es in der DDR nicht gab und die ich sonst nie hätte erleben können, sooo sehr schätzen.

Jana Pallaske, Jahrgang 1979, geboren in Ostberlin, ist Schauspielerin, Gitarristin und Sängerin.

Dänemark? Klar. Und natürlich hatte ich auch schon zahlreiche andere Länder bereist: Österreich, Frankreich, Griechenland …

Die DDR hingegen war mir mehr als fremd: ein Land, zu dem ich keinerlei Beziehung hatte, über das ich nicht einmal nachdachte. Mein Vater hatte als Computertechniker Zugang zum Marine-Hauptquartier in Flensburg, mehr noch: zu den Rechnern dort. Dass er dabei nur für die Hardware zuständig war, spielte keine Rolle; er durfte nicht in den Ostblock reisen. Und ein Block war sie für mich, diese diffuse, graue Welt jenseits des Eisernen Vorhangs. Und dann fiel die Mauer. Ich war 21 Jahre alt und hatte gerade mein Studium begonnen. Mit zwei Freunden reiste ich im März 1990 für ein paar Tage nach Berlin, das erste Mal in meinem Leben. Wir schafften es nicht, die Ostmark auszugeben, die wir in den Taschen hatten, waren beschämt über die lächerlich geringen Preise für ein Mittagessen, kauften eine Frisbee-Scheibe, die wir uns auf dem Alexanderplatz zuwarfen. Mit der DDR begann ich mich erst zu befassen, als sie bereits Geschichte war.

Alice Pantermüller, geboren 1968 in Flensburg, lebt heute im Landkreis Celle.

Doppelte Freiheit

Für uns in Kella war es eine doppelte Freiheit, als die Mauer fiel und der Zaun zum benachbarten Hessen endlich geöffnet wurde. Vorher hatten wir für jeden, der uns im Dorf besuchen wollte, immer erst einen Passierschein beantragen müssen, der oft auch abgelehnt wurde. Weil unser Dorf nur zehn Meter vom Grenzstreifen weg war, galten für uns diese unmenschlichen Regeln. All die Jahre waren wir hier eingesperrt, mussten uns immer ausweisen, wenn wir wieder ins Dorf wollten, haben auch viele Fluchten von Freunden, Verwandten und Bekannten mitbekommen. Über die Jahre wuchs in mir die Sehnsucht. Erst nach meiner Schwester, die schon 1961 noch vor dem Mauerbau in den Westen ging. Außerdem die Sehnsucht nach der Freiheit auf der anderen Seite des Zauns. Ich durfte nie rüber und meine Schwester durfte uns auch nicht besuchen. Auch als Mutter schwer krank war, nicht. Erst 1988, ein Jahr bevor die Mauer fiel, konnte sie nach 28 langen Jahren wieder nach Kella kommen, weil Mutter kurz vor dem Erblinden war. Das war ein großer Tag. Aber dann kam es noch besser. Das Unglaubliche geschah, und bevor der Grenzzaun sieben Wochen nach dem Mauerfall auch bei uns geöffnet wurde, schnitten wir einfach ein Loch in den Zaun.  Später dann feierte das ganze Dorf ein riesiges Fest und meine erste Reise ging mit einem Bus nach Paris an den Eiffelturm.

Helga Manegold aus dem Grenzdorf Kella (Eichsfeld) in Thüringen

Endlich durfte Katja zu ihrer Mutter in den Westen

Am 16. November 1989 stand ich morgens am Bahnhof in Karl-Marx-Stadt mit meiner Großmutter, meiner Katze und ein paar Habseligkeiten. Die Grenze war seit dem 9. November 1989 endlich offen und ich hielt wirklich meine Ausreisepapiere in der Hand. Ich durfte nach München ausreisen. Die Monate und Wochen vorher waren geprägt von Angst, Zuversicht und Ratlosigkeit. Mein Vater und meine Mutter waren bereits in der BRD, doch mir wollte man die Ausreise nicht genehmigen, obwohl ich erst 13 Jahre alt war. Man wollte ein Exempel an mir statuieren. Überall brodelte es, aus Ungarn kamen die Menschen nicht zurück, in Prag wurde die westdeutsche Botschaft besetzt und ich saß fest und konnte nichts machen außer warten. Die Angst war groß, dass es zu blutigen Ausschreitungen kommen und die Sowjetunion eingreifen und alles noch schlimmer werden würde. Doch dank der Verkettung einiger Umstände im Zentralkomitee der SED und der Weisheit des sowjetischen Staatsoberhauptes Michail Gorbatschow verlief die Grenzöffnung friedlich und sie war vor allem nicht mehr umkehrbar.

Katja Eberlein, 1976 im Erzgebirge geboren und aufgewachsen in Sachsen und Berlin. Lebt jetzt in München.

Verliebt ohne Passierschein, 1986 ein Fluchtplan, 1990 ein Schock

Als ich 1977 meinen ersten Mann Frank kennenlernte, war ich 15, und weil ich direkt im Sperrgebiet an der Grenze zu Hessen lebte, konnte mich Frank bis zu unserer Hochzeit nie zu Hause besuchen. Treffen konnten wir uns immer nur außerhalb des Grenzgebietes. Sehr jung  heirateten wir, bekamen Kinder und lebten weiter im Eichsfeld. Im Sommer 1986 arbeitete Frank in der Getreideernte. Er musste die Mähdrescher und Traktoren reparieren, wenn was kaputtging. Für die Felder zwischen den zwei Grenzzäunen bekamen die Arbeiter eine Sondergenehmigung, weil die mitten in der Grenzanlage waren. Eines Abends kam Frank zu mir und sagte: »Wir hauen ab. Ich hab die Grenzposten schon seit Tagen beobachtet, ich weiß, wie wir es machen können.« Mir war das Risiko viel zu groß. Ich konnte doch nicht unsere Kinder gefährden, und so sagte ich Nein zu seinem Plan. 1990 dann, als auch bei uns die Grenze abgebaut wurde, setzte Frank seinen Plan, in den Westen zu gehen, doch noch um. An einem Januarmorgen kam er einfach nicht mehr von einem Zahnarztbesuch zurück. Ich erfuhr, dass auch meine beste Freundin verschwunden war. Erst zwei Monate später meldete sich Frank bei mir mit einem Brief. Die beiden waren tatsächlich miteinander durchgebrannt. Das war eine schlimme Zeit, weil ich den Kindern auch nicht sagen konnte, wo der Papa zwei Monate lang war. Jetzt aber ist alles gut so, wie es ist.

Elvira Mock, geboren 1962, lebt heute in Effelder, Thüringen. Ihre Mutter ist Helga Manegold, die ebenfalls als Zeitzeugin über ihr Leben hinter dem Grenzzaun berichtet.

Schockierender Verfall

Januar 1990. Erste Rückkehr nach Leipzig nach sechs Jahren Zwangsquarantäne. Merkwürdiges Gefühl, dem Grenzpersonal der DDR erstmalig als »Bürger der Bundesrepublik« gegenüberzutreten – nicht ohne Herzklopfen. Wohin wollen Sie reisen? Was ist der Zweck Ihrer Reise? Fast hätte ich geantwortet: Das wissen Sie doch! Diese Leute wussten doch früher auch alles über mich! Weiterfahrt, Ankunft in Leipzig und Schock: Die Viertel um unser altes Wohngebiet sahen aus wie nach schweren Bombenangriffen: abgerissene und von selbst eingefallene Häuser, tiefe Gruben, leere Fensterhöhlen und fehlende Dächer, ganze Straßenzüge unbewohnbar, zum Teil durch Zäune abgesperrt – und das alles bei Regenwetter an einem Tag im Januar, an dem es nicht hell wurde, zumal in Leipzig, wo die rußschwangere Luft selbst bei Sonnenschein für gedämpftes Licht sorgte. Nein, das hatte ich so schlimm nicht in Erinnerung! War innerhalb der letzten sechs Jahre der Verfall so rapide vorangeschritten? Hatte ich schon alles vergessen, oder hatte ich das Elend nicht mehr wahrgenommen, als ich mittendrin lebte?

Lutz Dreyer, Jahrgang 1943, reiste 1984 mit seiner Frau Maria, Lukas, Felix und Juliane aus Leipzig aus.

Heimliches Treffen mit dem Vater in Ungarn

Sommer 1988 – es war mein erster gemeinsamer Urlaub mit meinem Vater und seiner neuen Familie. Das Besondere daran war, dass wir uns »heimlich« in Ungarn trafen, denn mein Vater lebte in der BRD und ich in der DDR.  Als ich fünf Jahre alt war, wurde er wegen eines Fluchtversuches inhaftiert und später in die BRD entlassen. Ab diesem Zeitpunkt musste ich meinen Vater zu meiner eigenen Sicherheit verleugnen und so tun, als ob es ihn nie gegeben hätte. Er schickte zwar einmal im Jahr ein Päckchen, welches über verbotene Kanäle ins Land kam, aber mehr Kontakt gab es nicht. Dieser Urlaub war der Auftakt in meinem Leben, über die Grenzen nachzudenken und zu hinterfragen, warum ich ihn nicht einfach so sehen kann, wir lebten doch alle irgendwie in Deutschland. Zumal mein Vater mir während dieses Sommers offenbarte, dass meine Mutter Fluchtpläne schmiedete – wie, war noch völlig offen. Ich war sehr durcheinander, und als ich wieder auf meine Mutter traf und diese mir die Tragweite des Vorhabens verdeutlichte, empfand ich es fast als aufregendes Abenteuer, welches uns bevorstand. Nur trübte dieses Gefühl die große Bürde, die ich tragen musste – die absolute Verschwiegenheit. Denn in der DDR durfte man nicht über Freiheitswünsche sprechen, die Staatssicherheit lauerte überall.

Katja Eberlein, 1976 im Erzgebirge geboren und aufgewachsen in Sachsen und Berlin. Lebt jetzt in München.

Allein in der DDR nach der Flucht der Mutter:

Am 16. Mai 1989 war es so weit. Meine Mutter, welche im Kultusministerium der Freien Deutschen Jugend (FDJ) arbeitete, hatte sehr spontan eine Reise nach Italien zugesagt bekommen, bei der sie auch als Kulturbeauftragte die Reiseleitung übernehmen sollte. Keiner aus der Obrigkeit wusste von  ihren Fluchtplänen. Sie trat die Reise an und es gelang ihr in Rom eine gefährliche  Flucht in die  Botschaft der BRD. Ich war 12 Jahre alt und wusste seit etlichen Monaten von ihrem Vorhaben, das Land zu verlassen und mich dann nachzuholen. Mein Vater war bereits seit 1981 in der BRD. Wir verkauften also unsere Wertgegenstände, wir ließen aktuelle Fotos von uns beiden anfertigen, wir sprachen von einer neuen Zukunft, aber all das musste heimlich geschehen. Wenn jemand davon Wind bekommen hätte, wäre meine Mutter inhaftiert worden und ich wohl ins Heim gekommen. Der Zeitpunkt der Reise kam und ich musste Abschied nehmen, von meiner Mutter – würde ich sie wiedersehen? –,  von meiner geliebten Stadt Berlin und von meinem Leben, welches ich bis dato in vermeintlicher Sicherheit geführt hatte. Meine Mutter wusste, dass ich bei meiner Großmutter in guten Händen sein würde, und hoffte auf ein baldiges Wiedersehen. Nach Bekanntwerden der Flucht meiner Mutter wurden wir alle mehrfach von der Staatssicherheit verhört. Meine restliche Familie bekam Probleme in der Arbeit und ich wurde in der neuen Schule von etlichen Lehrern als Verräterkind betitelt und behandelt. Ohne die Wende wäre ich wohl nicht rausgekommen.

Katja Eberlein, 1976 im Erzgebirge geboren und aufgewachsen in Sachsen und Berlin. Lebt jetzt in München.

Besuch in Dresden

Im Frühsommer 1989 besuchten meine Mutter und ich für ein paar Tage eine befreundete Familie in Dresden. Die Dresdner Familie nahm uns überaus gastfreundlich auf und zeigte uns viel von den baufälligen Stadtvierteln Dresdens, denen man immer noch die vormalige Eleganz ansah. Wir sprachen oft über den Alltag in der DDR und über den großen Traum Wiedervereinigung. Die Sinnlosigkeit der Teilung Deutschlands wurde mir durch diesen unvergesslichen Besuch erst richtig klar. In den Monaten danach geriet dann plötzlich alles in Bewegung. Als schließlich im November die Grenzen geöffnet wurden, fuhren meine Studienkollegin Sylvia und ich sofort nach Berlin. Am 11. November ließen wir uns rund um das Brandenburger Tor und den Potsdamer Platz treiben und beobachteten das unglaubliche Geschehen. Eine Journalistin machte das Foto von uns vor dem Brandenburger Tor. Das Foto steht immer noch in meinem Regal und erinnert mich täglich an diese historischen Tage.

Dagmar, 1969 in Bielefeld geboren, lebt heute in Neuss.